Neulich bin ich in einer Facebook-Gruppe auf die Suche einer Mitspielerin aufmerksam geworden. Sie suchte ein Spiel, das völlig ohne Glücks- oder Zufallselemente auskommt. Was auf den ersten Blick eine gute und berechtigte Frage erscheint, zieht doch einige Kreise im Kopf, wenn man weiter über die Frage nachdenkt.
Will man die Frage im engeren Sinne beantworten, findet man erst einmal die vielen Ausschlusskriterien. Jedes Spiel, bei dem ein Würfel geworfen wird, fällt raus. Jedes Spiel, bei dem Karten gemischt werden, fällt raus. Jedes Spiel, bei dem etwas aus einem Beutel gezogen wird, fällt raus. Jedes Spiel, bei dem eine Münze geworfen wird, fällt raus. Auch Elemente der Asynchronität (unterschiedliche Startvoraussetzungen, -charaktere) sind eher ausgeschlossen.
Da bleibt ja kaum noch was. Ganz offensichtlich sind Spiele wie Schach, 4 gewinnt, Go, Dame oder Mühle im Rennen für eine Empfehlung. Auch Schiffe versenken erfüllt die Kriterien der Anfrage. All diese Spiele haben gemein, klassische Zwei-Spieler-Spiele zu sein. Übung macht hier den Meister, aber genau das suchte die Anfragende ja.
Wenn ich aber in meine relativ umfangreiche Brettspielsammlung schaue, fällt es mir schwer, Spiele ohne Glücks- und Zufallselemente zu finden. Selbst die großen Strategieknaller haben irgendein Zufallselement. Selbst wenn der Glücksfaktor in seiner Wirkung reduziert wird, indem man statt eine Karten zu ziehen sich aus drei gezogenen eine aussuchen oder den Würfel unter bestimmten Voraussetzung drehen oder neu werfen darf – ein Rest von Glück oder Pech bleibt. Mit Baragoon habe ich auf die Schnelle ein weiteres Zwei-Spieler-Spiel gefunden, das ohne Zufallselemente auskommt.
Aber die weitergehende Frage ist doch: wollen wir wirklich ein Spiel ohne Zufall und ohne Glück? Macht nicht genau dieser Unsicherheitsfaktor am Spieltisch den Reiz aus?
Als Schachspieler weiß ich: als Anfänger habe ich gegen einen geübten Spieler keinerlei Chance, gegen einen Profi sowieso nicht. Zwar lerne ich in diesen Partien vielleicht was, aber das Ergebnis steht im Grunde vorher fest, der wirklich bessere Spieler gewinnt. Wenn man auf der falschen Seite des Bretts sitzt, kann das auch sehr frustrierend sein, schließlich ist die Lernkurve steil und gegen erfahrene Spieler auch nicht unbedingt ein Garant für erste Erfolge.
Wenn ich im Gegensatz dazu ein Spiel wie Poker sehe, sieht man ja den Reiz des Zufalls. Hier können Amateure durchaus gegen Profis einzelne Blätter oder Spiele gewinnen, auch wenn die Profis auf lange Sicht die Oberhand behalten werden. Aber da ich als Amateur schlecht spielen, durch den Faktor Zufall (die richtige Karte wird gezogen, mein Bluff wird nicht aufgedeckt) dennoch mit dem Sieg davonkommen kann, entsteht ein Hochgefühl, das für eine weitere Beschäftigung mit dem Spiel motiviert. Und dadurch werde ich auch irgendwann besser, denn auch beim Poker gilt: Übung macht den Meister. Wer lernt, Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen, strategisch und taktisch die richtige Spielweise für sich zu finden und dabei auch das Chipmanagement einbeziehen kann, wird auch langfristig erfolgreich sein. Aber zwischendurch reicht mir auch mal eine glückliche Situation zum Sieg.
Viele große und kleine Brettspiele finden sich zwischen diesen Extremen. Während es sehr viele noch glückslastigere Spiele gibt, deren Ergebnis nahezu komplett zufällig ist, nähern sich einige Spiele Schach an und bieten nur wenige Zufallselemente. Wenn ich Wahrscheinlichkeiten gut abschätzen kann und die Zufallselemente kenne, kann ich in vielen Spielen „berechnen“, welche Aktion sinnvoll ist. Aber am Ende muss auch eine noch so hohe Wahrscheinlichkeit nicht zum gewünschten Ergebnis führen, so dass nicht nur der berechnende Stratege gewinnen wird, sondern auch der „Bauchspieler“ seine Chancen hat.
Natürlich passiert bei Brettspielen dasselbe wie beim Poker-Absatz beschrieben: Übung macht den Meister. Aus diesem Grund gibt es ja eine Deutsche Mannschaftsmeisterschaft im Brettspiel, regelmäßige Meisterschaften in Memory, Catan oder anderen Spielen – mit Erfahrung und verbesserter Kenntnis der Spielelemente, ihrer Häufigkeit und ihres spielerischen Nutzens kann ich Strategien entwickeln, die vermehrt zum Sieg führen. Aber – und das halte ich für einen wesentlichen Reiz unseres Hobbys – im einzelnen Spiel ist mein Sieg nicht garantiert, da die Unwägbarkeiten des Zufalls mitspielen.
Am Ende habe ich die eingangs erwähnte Frage nicht beantworten können. Die Spiele, die wir im Normalfall unter dem Oberbegriff „Gesellschaftsspiel“ zusammenfassen, haben alle ein wie auch immer geartetetes Glückselement. Und das finde ich auch gut so.