Spielen in und um Werne

Der Hype ums Ahorntal

Überblick

Eins DER Hypespiele der letzten Woche war und ist „Die Tiere vom Ahorntal“ (englisch: Creature Comforts) (Deutscher Publisher: Boardgamecircus). Das über Crowdfunding finanzierte Spiel wurde sehnsüchtigst erwartet, sollte es doch die Lücke zwischen komplexeren Spielen und Familienspielen elegant schließen. Und es sieht so drollig aus..

Unsere Tierfamilie muss sich auf den nächsten Winter vorbereiten. Dazu gilt es, gute Ideen für die Behausung zu sammeln, um diese später umzusetzen. Zu dieser Umsetzung braucht es verschiedene Resssourcen, die wir ebenfalls sammeln müssen. Helfen auf unserem Weg durch die Jahreszeiten bis zum nächsten Winter sollen uns dabei Verbesserungen, die wir gegen Abgabe von Ressourcen bauen können, sowie Reisenden, die in jeder Runde Vorteile verschiedenster Art mit in das namensgebende Ahorntal bringen.

Wer am Ende des Winters die besten Ideen zusammengetragen hat, bekommt die meisten Punkte und darf den nahenden Winter im schmucksten Heim des ganzen Tal verbringen.

Wer jetzt kleine Ähnlichkeiten zum berühmten Everdell gesehen hat, dem sei gesagt: ja, da gibt es thematische Parallelen, spielerisch ist „Die Tiere vom Ahorntal“ in vielerlei Hinsicht ein anderes Kaliber.

Doch der Reihe nach..

Spielablauf

Über sechs oder acht Runden spielen wir im Ahorntal. Im Wald und im Tal verändern sich dabei jede Runde die Ertragsfelder, zudem kommt ein Reisender in die Schenke und beschert uns eine zumeist positive Veränderung – mal gibt es an manchen Feldern mehr Ressourcen, mal dürfen wir beim Umsetzen von Ideen weniger zahlen, mal dürfen wir untereinander Ressourcen verschenken für weitere Boni.

Wir steuern das Geschick einer Tierfamilie, die aus vier Mitgliedern besteht und für die es zwei Familienwürfel in gleicher Farbe gibt. Letzere haben wir zu Rundenbeginn gewürfelt, vier weiße Dorfwürfel liegen mittig und ungewürfelt parat.

Im Kern folgen dann die zwei wichtigsten, miteinander verwobenen Spielphasen: wir schicken unsere Tiere zu ihren Einsetzorten. Dabei gibt es nicht wie im klassischen Workerplacement ein Blockade, falls das Feld schon besetzt. Nein, jedes Feld nimmt von jeder Familie ein Tier auf, so dass diese Einsetzphase parallel gespielt werden kann. Allerdings: um ein Feld in der nächsten Phase aktivieren zu können, müssen wir dem Tier in der nächsten Phase die zum Feld passenden Würfel zuteilen. So braucht man z.B. im Eulennest eine 1 oder 2, um zwei Ideenkarten ziehen zu können (von denen wir am Ende unseres Zuges maximal drei auf der Hand haben dürfen), ansonsten muss man sich mit einer begnügen. Die Ressourcenfelder verlangen manchmal nach mehr als einem Würfel, z.B. nach zwei Würfeln, die zusammen 7 ergeben, oder nach drei Würfeln mit geraden Zahlen. Um diese Bedingungen erfüllen zu können, stehen uns die schon gewürfelten Familienwürfel sowie die Dorfwürfel zur Verfügung. Die letzteren werden gewürfelt, nachdem alle Tiere an ihrem Zielort sind. Unter Umständen brechen dabei schon die ersten Pläne zusammen, denn die gewürfelten Werte gelten für alle Mitspieler.

Nun wird reihum gespielt: jeder weist aus dem Pool von Dorf- und Familienwürfeln seinen eingesetzten Tieren Würfel zu und führt danach die Aktionen in beliebiger Reihenfolg durch. Sollte ein Tier mangels passender Würfel nicht zum Zuge bekommen, erhält der Spieler ein Trostpflaster, mit dem er in den Folgerunden Würfelwerte um 1 erhöhen oder senken kann.

Nachdem alle Aktionen ausgeführt wurden, darf der Spieler mit seinen Ressourcen noch Ideenkarten aus seiner Hand ausspielen. Diese bringen am Ende Punkte, manche ergeben in Kombination mit anderen weitere Punkte, wieder andere können am Spielende überschüssige Ressourcen in Punkte umwandeln (z.B. der Kamin macht aus je zwei Holz zwei Punkte).

Zu Rundenbeginn kommt ein neuer Reisender, Einsetzfelder werden aktualisiert, die Kartenauslage teilweise erneuert und weiter geht´s, bis acht (oder verkürzt sechs) Runden durch sind. Dann werden alle irgendwie gesammelten Punkte addiert und der Besitzer des schönsten Winterheims gekürt.

Ausstattung

Ich habe hier die Deluxe-Kickstarter-Ausgabe, die wirklich ganz toll ist. Die Holzressourcen sind prächtig, die Tiermeeple sehr gelungen, ein wunderbares Inlay sorgt für Ordnung und auch das andere Material weiß zu gefallen. Das Artwork ist in seiner Gesamtheit sehr stimmig und familienfreundlich. Wer auf hohem Niveau meckern will, muss feststellen, dass die Deluxe-Holzressourcen sich optisch leicht von den aufgedruckten Symbolen unterscheiden, was bei der hohen Anzahl der verschiedenen Ressourcen anfänglich gewöhnungsbedürftig ist.

Dennoch: was hier in der Schachtel ist, ist sein Geld wert. Die Elemente sehen gut aus, machen einen sehr wertigen Eindruck und das Inlay ist durchdacht.

Und spielerisch?

„Die Tiere vom Ahorntal“ sitzen ein wenig zwischen den Stühlen – auf der einen Seite ist dieses niedliche Thema und die familiengerechte Aufmachung, daneben stehen eine große Zahl an Ressourcen (Äpfel, Pilze, Wolle, Steine, Korn, Münzen, Geschichten und Holz), die es zu managen gilt sowie ein doppelter Einsetzmechanismus (erst Arbeiter, dann Würfel) als Spielmechanismus. Die letzten Punkte lassen ein Kennerspiel erwarten, während die Gesamtpräsentation eher Einsteiger und Familien anlockt.

Am Ende befriedigt das Spiel beide Parteien nicht ganz. Irgendwie ist „Die Tiere vom Ahorntal“ ein klassisches Gateway-Spiel auf dem Weg vom Einsteiger zum Kenner, ohne dies beiden Gruppen klar zu machen. Für Einsteiger dürfte der nicht triviale Einsetzmechanismus und die Zahl der zu beachtenden Ressourcen abschreckend sein, der Kenner sieht schnell eine klare Linie im Spiel – man versucht den Ressourcenfluss zu optimieren, um seine Karten bestmöglich zu nutzen. Da man einander nur an wenigen Stellen (Bau von Verbesserungen und die offenen Auslage im Eulennest) in die Quere kommen kann, ist der kompetetive Reiz eher gering. Familien wird letzteres freuen, man kann einander nur wenig ärgern, der gern herausgeforderte Spieler merkt schnell, dass die wenigen Interaktionsmöglichkeiten nicht reichen, den Eindruck zu vertuschen, dass es am Ende ein Rennen um die meisten Punkte durch effektiven Ressoruceneinsatz ist.

Letzteres wird der Solo-Spieler übrigens sofort merken: die Einzelspieler-Variante sieht keinen Gegner vor, sondern ist eine reine Highscore-Jagd. Das funktioniert ganz fluffig und gut.

Aus der Zeit gefallen

Der größte Kritikpunkt an „Die Tiere von Ahorntal“ ist der Faktor Zeit. Ich habe nun mehrere Spiele in verschiedenen Konstellationen gespielt und an anderen Tischen miterlebt – die Spieldauer ist gerade bei den ersten Partien jenseits von Gut und Böse. Zu fünft dauerte das Spiel locker drei Stunden und mehr (ist mir inzwischen zweimal in sehr unterschiedlichen Konstellationen passiert), selbst zu zweit brauchte es gut 75 Minuten. Dafür ist die Spieltiefe einfach zu gering, um diese Spieldauer zu rechtfertigen.

Der Grund ist die enorme Downtime zwischen meinen Zügen. Bei fünf Spielern muss ich vier Spielern beim Zuordnen der Würfel und beim Abwickeln ihrer vier bis fünf Aktionen zuschauen. Ungeübte Spieler brauchen auf Grund der vielen Ressourcen und des Puzzlen bei der Würfelzuordnung sowie dem Finden der optimalen Reihenfolge der Aktionen relativ lange, während alle anderen dabei nur zusehen können.

Und hier ist wieder das Problem mit der unbestimmten Zielgruppe: Einsteiger und Gelegenheitsspieler werden von der langen Spieldauer abgeschreckt, Vielspieler bemängeln zu Recht, dass trotz vieler Ressourcen das Spiel eigentlich einen klaren Faden hat und deshalb viel schneller gehen müsste.

Natürlich zieht die Spielgeschwindigkeit nach drei, vier Partien an, aber in voller Kapelle muss man dennoch mindestens zwei Stunden einkalkulieren, was meiner Meinung nach immer noch zu viel für ein zwar gut gemachtes, aber nicht allzu anspruchsvolles Spiel ist.

Was will das Spiel überhaupt sein?

Zum Abschluss bleibt die Frage: was will das Spiel überhaupt sein? Wen möchte es mitnehmen?

Es sieht zweifellos schön aus, geradezu niedlich. Das Thema ist familienfreundlich und lehnt sich stark am Erfolgsspiel „Everdell“ an. Und da sehe ich auch ein wenig die Idee hinter dem ganzen Projekt – ein familientaugliches Everdell auf den Markt zu bringen. Das gelingt auch in vielen Aspekten. Neben der Optik und dem Thema weiß der sehr friedliche Charakter des Spiels zu gefallen. Dass sich dahinter ein relativ trockenes Ressourcenmanagement verbirgt, stört mich weniger, da die Verpackung echt gut ist.

Grundsätzlich finde ich auch die Variabilität des Spielfeld, die zusätzlichen Optionen durch weitere Module (individuelle Startvoraussetzungen, Träume als Punktelieferant) schön. Die Idee des Spielmechanismus, erst einen Aktionsplatz zu wählen und diesen dann mit Würfeln zu nutzen, ist durchaus originell und hat was.

Doch gerade dieser Spielmechanismus ist DER Problempunkt des Spiels – da ein Spieler alle Würfel zuweisen und dann alle Aktionen durchführen muss, während die anderen zuschauen, entsteht eine ärgerliche Downtime für bis zu vier andere Spieler, die verglichen mit vielen anderen Spielen zu groß ist. Wenn ihr dann noch ein bis zwei Grübler am Tisch habt, geht der Spielspaß flöten.

Vielleicht bin ich sehr kritisch, aber ich kann nur empfehlen, „Die Tiere vom Ahorntal“ vor dem Kauf auszuprobieren. Es ist kein schlechtes Spiel, macht sogar vieles richtig. Dennoch gelingt ihm der Spagat zwischen Einsteigerfreundlichkeit und Kennerspiel nicht gut, was dazu führt, dass weiterhin unklar bleibt, was „Die Tiere vom Ahorntal“ sein will und wer die Zielgruppe ist.

Deshalb: der Hype ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt. Hier liegt ein gutes Spiel auf dem Tisch, was zu viele Fragen offen lässt, als dass es dem Wirbel gerecht werden kann.

Wenn ich einer Wertung geben sollte, wäre ich bei 3,5 Sternen von 5.

Update vom 15.06.2022: Reaktion des Verlags

Der Verlag hat auf die allgemeine Kritk reagiert und wird mit der nächsten Auflage die Spielzeitangabe auf 60 Minuten (von 45) hochsetzen und gleichzeitig die bisherige Option, nur sechs Runden zu spielen, zum Standard erklären. Der Verfasser dieser Zeilen hat dazu eine Meinung:

„Aber auch 60 Minuten sind bei sechs Runden in voller Kapelle utopisch“.

Diese Anpassungen ändern nichts an den bisherigen Ausführungen, hinterlassen aber den guten Eindruck, dass sich Board Game Circus kümmert.

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