Naturthemen sind in den letzten Jahren recht populär geworden im Spielebereich. Sei es „Cascadia“ als letztjähriges Spiel des Jahres oder das Kennerspiel des Jahres „Living Forest“ – Natur und Umwelt mit und ohne Tiere kommt an bei den Menschen.
In diese Kerbe schlägt auch „Erde“ von Skellig Games, eines der interessantesten Spiel der letzten Monate. Auf unserer Insel pflanzen (und bauen) wir in einem 4×4-Raster Pflanzen und Terrains, die zum einen am Ende punkteträchtig sein sollen, zum anderen aber auch während des Spiel ertragreich sein sollen. Zeitgleich versuchen wir für das Spielende zwei gemeinsame und eine individuelle Wertungsbedingung zu erfüllen. Und damit noch etwas mehr Druck im Kessel gibt, können wir uns um vier Zwischenbedingungen streiten. Für jede dieser vier Bedingungen gilt: wer sie zuerst erfüllt (z.B. eine bestimmte Zahl von Karten gepflanzt haben, die eine definierte Eigenschaft mitbringen), bekommt mehr Punkte.
Zu Beginn haben wir unsere kleine Insel etwas individualisiert, indem wir ein Insel, ein Klima und ein Ökosystem ausgesucht haben. Letzteres ist unsere eigene Wertungsbedingung, die ersten beiden geben die Startressourcen und die ersten Fähigkeiten.
Ein wenig komplexer ist es aber noch, denn die Pflanzen können sowohl wachsen als auch sprießen. Für beides ist auf den Pflanzen jeweils ein eigener Bereich, der jeweils unterschiedlich limitiert ist. Dafür gibt es aber nur eine echte Ressource, die wir sammeln, um sie für Pflanzen und Terrains auszugeben – die namensgebende Erde. Im Laufe des Spiels können wir Karten kompostieren, was für manchen Fähigkeiten benötigt wird und/oder am Ende Punkte bringt. Die Fähigkeiten bringen die gespielten Karten mit: diese sind farbig hinterlegt, um die Aktion anzuzeigen, durch die sie ausgelöst wird. Zumeist sind diese Fähigkeiten das Bekommen von Sprossen, Wachstum, Erde oder Karten oder ein vorteilhafter Tausch zwischen diesen Elementen.



Mechanisch ist das Spiel sogar relativ simpel: es gibt nur vier Aktionen, aus denen der aktive Spieler wählen kann. Beim „Pflanzen“ (grün) gibt man Erde aus, um Karten in sein Raster zu bauen. Beim „Kompostieren“ (rot) gibt es Erde und Kompostkarten, beim „Wässern“ (blau) Sprossen und Erde, während das „Wachsen“ (gelb) Wachstum und Handkarten bringt. Der aktive Spieler bekommt dabei eine starke Version der Aktion, alle anderen dürfen eine schwächere Version dieser Aktion spielen.
Und dann folgt der Kern des Spiels: unsere Fähigkeiten werden aktiviert. Alle mit der Farbe der Aktion hinterlegten Aktion in unserem Raster werden in Leserichtung aktiviert, davor oder danach können die Fähigkeiten unserer Insel- und Klimakarten genutzt werden. Diese „Engines“ sind das Herz des Spiels, da dadurch Aktionen massiv verstärkt werden und das Erfüllen von Zielen deutlich beschleunigt wird.
Zwischendrin dürfen wir jederzeit Ereigniskarten spielen und drei Sprossen in zwei Erde wandeln. Mit diesen relativ einfachen Aktionen kommen wir durchs Spiel, das am Ende der Runde beendet wird, in der der erste Spieler sein 4×4-Raster gefüllt hat. Das gibt noch ein paar Extrapunkte. Danach gibt es dann das große Rechnen, da die Punkte aus den gespielten Karten, dem erreichten Wachstum, der Anzahl der Sprossen, den erreichten Zielen, den insgesamt drei Ökosystemen, den Ereigniskarten, den Kompostkarten sowie eventuell durch Terrainkarten beeinflusst werden. Gut, dass dem Spiel ein Wertungsblock beiliegt.
Die Stärken des Spiels
Erde ist ein spannendes Tüftelspiel, bei dem man versuchen muss, seine Karten gut zu kombinieren, um durch die Fähigkeiten regelmäßig von allen Aktionen gut zu profitieren und dennoch kurz- und langfristige Ziele zu erreichen. Das finde ich richtig toll, das macht Spaß.
Erde lebt davon, dass die Downtime überschaubar ist. Man kann fast alles parallel abhandeln, so dass auch eine Fünf-Spieler-Runde relativ schnell durch das Spiel kommt.
Die Wiederspielbarkeit ist durch die individualisierten Startvoraussetzungen und den riesigen Berg an Karten sehr hoch, gleichzeitig scheint es nicht die eine Strategie zu geben, mit der man immer gewinnt. Der Kartenberg bringt auch einen Glücksfaktor ins Spiel, den ich für genau richtig halte.



Die Schwächen des Spiels
Ein wenig sind die Vorteile des Spiels auch seine Schwächen: es gibt fast keine Interaktion. Es gibt keine gemeinsame Auslage, lediglich die kurzfristigen Ziele, deren schnelleres Erreichen mir etwas mehr Punkte bringt, bedeutet etwas Interaktion. Ansonsten spielt jeder mehr oder minder solitär vor sich hin. Das ist in vielen anderen Spielen zwar ähnlich, aber da hier keine Downtime benötigt wird, entsteht wenig sonstige Interaktion am Spieltisch.
Die Qualität der Spielmaterialien ist bestenfalls durchschnittlich zu nennen. Die Spielbretter brauchten mehrere Tage unter Druck, um die Wellung rauszukriegen. Die Karten sind qualitativ sehr unterschiedlich bedruckt, teilweise sehr verwaschen, die Farben sind nicht auf allen Karten gleich. Das ist ein kleiner Dämpfer.
Fazit zu Erde
Trotz der Schwächen ist Erde ein tolles Spiel. Durch den riesigen Kartenstapel werden gerne Everdell, Terraforming Mars, Flügelschlag oder Arche Nova als Vergleich herangezogen. Ganz persönlich glaube ich, dass Everdell und Flügelschlag die nächsten Verwandten von Erde sind. Allerdings ist Erde beim Engine Building viel belohnender als Flügelschlag und hat einen deutlich höheren Kartendurchsatz beim Spieler als alle genannten Spiele, was zu mehr Optionen führt. Bei den vier genannten Spielen hat man je nach Kartenglück das Gefühl, festgefahren zu sein, was gerade für Neulinge frustran ist. Da ist Erde flexibler, es geht fast immer irgendwas sinnvolles, so dass der Glücksfaktor, der durch den riesigen Kartenstapel entsteht, etwas aufgefangen wird.



Gewöhungsbedürftig ist sicherlich der stark solitäre Charakter. Mich stört das nicht, aber ich kann nur raten, im Zweifel, Erde einmal zur Probe zu spielen. Mich hat Erde trotz kleinerer Schwächen auf jeden Fall überzeugt. Dafür spricht auch, dass das Spiel zu meinem meistgespielten Spielen der letzten Monate gehört.
4 Gedanken zu “Erde – Pflanzen um die Wette”
Ihr Schreibstil ist fesselnd. Ich habe jeden Teil Ihres gut recherchierten Artikels genossen.
Ich bin erstaunt, wie Sie es geschafft haben, ein so komplexes Thema so interessant und leicht verständlich zu machen.
Wenn man so von Spammern gelobt wird, muss man den Kommentar einfach freischalten. Ok, den Link zur Betrugsmasche habe ich entfernt, aber es ging dem Absender ja nur darum, diesen tollen Beitrag zu loben, oder?
Sie haben ein einzigartiges Talent für das Schreiben. Dieser Artikel war informativ, ansprechend und wunderschön geschrieben.